Die Fetisch-Welt, die auf den Social-Media-Kanälen meist abgebildet wird, scheint oft ein Hochglanzprospekt der perfektionierten Geilheit, der total austrainierten Bodys und der krassesten Gear zu sein … ein Schaulaufen der Eitelkeiten der Kinkster. Doch diese Welt der Porn-Stars und Sternchen ist nur Teil der Realität. Wie unsere Kinks gehören auch unsere Makel zu uns.
Doch ist gerade deshalb ist jeder einzigartig. Diese Vielfalt und unsere Offenheit dieser gegenüber, sollte für uns normal sein. Was die einen vielleicht als Makel sehen, sehen andere als das Spezielle Etwas oder gar als Stärke. Niemand von uns muss sich verstecken!
Als ich letzte Woche ein wenig rumgesurft bin, bin ich auf einen Fetisch- und Sexblog gestossen, der gerade deswegen sehr erbaulich ist. Chris ein 29jähriger pansexueller Kinkster und Switch aus Deutschland schreibt über seine Fetische, sein Sexualleben und gibt Einblick in seine Bedürfnisse und wie er diese auslebt. So weit so normal doch bei ihm geht dieses Ausleben nicht so einfach wie für die meisten von uns, denn Chris leidet unter spinaler Muskelatrophie (Typ 2) und sitzt im Elektrorollstuhl.
Hallo Chris, wann hast du entdeckt, dass Blümchensex alleine nicht wirklich das ist, was dich wirklich reizt und dass du es gerne ein wenig kinkier hast? Wie kam es dazu und gab es da einen Schlüsselmoment?
Hallo Marc, ich hatte mich damals, da müsste ich so Anfang 20 gewesen sein, bei einer neuen Datingseite angemeldet. Der Grund war dass die Plattform meine sexuelle Orientierung kannte. Ich konnte mich als pansexuell Eintragen und hoffte dadurch den ewigen Fragen “Was ist pan?” zu entgehen. Das hat übrigens nicht funktioniert, heute finde ich diese Fragen auch nicht mehr nervig. Jedenfalls suchte ich damals nur eine Freundschaft-Plus, ganz ohne BDSM oder Fetisch Bezug.
Eines Tages hatte ich dann eine Mail in meinem Postfach, ein älterer Mann wollte mich kennen lernen, allerdings wollte er mich nur als Sub, er war da sehr klar. Ich war ein wenig abgeschreckt aber auch sehr neugierig, ich erwähnte natürlich meine absolute Unerfahrenheit aber ihm war das recht egal. Dementsprechend verabredeten wir ein Treffen in einem Café und er hatte mich relativ schnell am Haken, obwohl ich mich wirklich bemühte ihn das nicht spüren zu lassen. Am Ende des Treffens war klar, dass wir es versuchen wollten und wir mieteten und sehr bald ein Zimmer in einem Stundenhotel.
Und wie war es zum ersten Mal als sub zu dienen? Was war anders?
Ich war natürlich unglaublich nervös, ich hatte nämlich keine Ahnung wie seine Art von BDSM aussah und was er mit mir vor hatte. Heute würde ich diese Dinge natürlich vorher klären aber ich hatte damals ja keine Ahnung. Glücklicherweise war er sich meiner Situation sehr bewusst und die erste Session verlief sehr ruhig. Was aber auch daran lag, dass diese Situation für ihn auch Neuland war, er hatte mit behinderten Menschen keine Erfahrung.
Wir starteten also mit gegenseitigem herantasten, ich erklärte ihm wie er mich heben sollte, mich aus,- und anzieht und mich richtig hinlegt. Er fesselte mich langsam ans Bett und erklärte mir immer sehr genau was jetzt als nächstes passiert. Dadurch bauten wir gegenseitiges Vertrauen auf und er konnte immer besser verstehen dass ich nicht so zerbrechlich bin wie es scheint. Als wirkliches “dienen” würde ich diese Session noch nicht bezeichnen, eher als Einstig. Was für mich extrem anders war, war die Vertrautheit die durch die Kommunikation entstand, sowas kannte ich bis dahin nicht. Jedenfalls wollte ich nach dieser Session unbedingt mehr.
Glaub mir, diese Nervosität hat jeder bei so einer ersten Erfahrung. Und ja, die Kommunikation, egal ob verbal oder non-verbal, wie auch das Vertrauen sind die Basis von gutem SM. Ich denke aber, dass das Ganze auch seine sexuellen Reize hatte, die sich doch recht vom Blümchensex unterscheiden.
Bei ihm war der sexuelle Reiz deutlich sichtbar, bei mir hat das ein wenig gedauert. Viel passiert ist beim ersten Mal allerdings nicht, er kam gar nicht und für mich gab es einen Handjob.
Im laufe der Zeit hat sich das natürlich geändert, ich hatte ja nun eine gute Basis an Vertrauen und war weiterhin sehr neugierig. Dementsprechend stieg meine Erregung bei unseren Sessions. Bondage blieb, im kleinen Rahmen, ein fester Bestandteil unseres Spiels. Wir erweiterten unser Repertoire dann immer schrittweise und ich entdeckte ganz neue Seiten an mir. Plötzlich erkannte ich meine masochistische Seite und neue erogene Zonen an meinem Körper. Spanking, Wax, Elektro, Cum Controll, er erwähnte etwas und ich wollte es am liebsten sofort testen.
Da scheint einer unersättlich und neugierig zu sein. Das sind gute Eigenschaften und lassen das Spiel nicht so schnell langweilig werden. Ich bin Fussgänger und ich muss zugeben, dass ich bisher keine SM-Erfahrungen mit Rollstullfahrern habe. Ich denke so geht es doch den Meisten die hier diesen Artikel lesen. Kannst du uns ein wenig erklären, wie sehr deine Behinderung das sexuelle Spiel beinflusst und wie wir uns so eine Session vorstellen können?
Ich denke schon, dass sich meine BDSM-Neigung an meine körperliche Situation angepasst hat. Man merkt dies aber eher an meiner dominanten Seite. Ich bin zum Beispiel überhaupt kein Sadist, was meiner Meinung daran liegt dass ich keine Form von körperlicher Dominanz ausüben kann. Wie sollte ich auch? Ich kann ja nicht einmal mein eigenen Glas heben. Daher haben sich meine Vorlieben als Dom eher auf eine verbale und erniedrigende Form von Erotik verlagert. Als Sub kann ich fast alles tun was ein gesunder Mensch auch kann, nur meine Wege dahin sind anders.
Egal in welcher Rolle ich mich befinde, eine Sache bleibt immer gleich, ich bin immer auf Hilfe meiner Spielpartner*innen angewiesen. Sprich: An,-um,- und ausziehen, heben, lagern usw. das ist für Subs verständlicherweise oft gar nicht so einfach.
Ich stell mir das noch anspruchsvoll vor. Kann man da als Spielpartner nicht vieles falsch machen?
Der Schlüssel liegt wie gesagt in der Kommunikation. Von all den Partner*innen die ich bisher hatte, hatten nur ein oder zwei vorher bereits sexuelle Erfahrungen mit behinderten Menschen. Dann liegt es an mir diese “Angst” abzubauen und da hilft nur miteinander zu reden und viel zu erklären.
Verletzt wurde ich bisher nur einmal, eine Bänderdehnung weil ich blöd in einer Decke hängen blieb. Selbst diese Verletzung war also kein Ergebnis einer Session sondern ein dummer Unfall und Unfälle passieren jedem.
Ganz grundsätzlich sollte man bei einem behinderten Partner oder einer behinderten Partnerin aber erstmal etwas vorsichtig sein und sich langsam steigern.
Das Schritt für Schritt gehen ist immer wichtig. Mann muss sich aneinander rantasten. Die Suche nach guten SM-Partnern ist schon ohne Behinderung nicht so einfach, da jeder ja seine Vorlieben hat und die passen müssen. Wie findest du deine Spielpartner und was ist dir bei deiner Suche wichtig? Und wie kannst du in Chatportalen die Angst vor deiner Behinderung bei deinem Gegenüber abbauen?
Meine Spielpartner*innen finde ich immer über das Internet, ich habe etliche Accounts auf vielen gängigen Plattformen. Schwer zu finden bin ich also nicht.
Wichtig sind mir vor allem charakterliche Eigenschaften. Achtsamkeit, Verspieltheit, Toleranz und Empathie. Ich suche Menschen körperliche und emotionale Treue trennen können, für die ein langsames Kennenlernen ebenso eine Entdeckungsreise ist wie für mich. Das Alter ist zweitrangig, das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität ebenso. Außerdem ist es mir egal, ob jemand sportlich oder mollig ist, ob studiert oder nicht oder woher jemand kommt. Der Mensch ist für mich ein Bild aus vielen kleinen Mosaiksteinchen und mich interessiert nur das Gesamtbild.
Jemandem auf einer Dating-Plattform oder in einem Chat diese Angst zu nehmen ist sehr schwierig. Ich bin in meinen Profilen immer ehrlich und verstecke nichts, etwas zu verstecken hilft ja auch nichts denn spätestens bei einer Begegnung kommt es raus. In Chats bin ich dann einfach ich selbst, offen, humorvoll, höflich und ein bisschen nerdig. Die Angst abbauen kann ich aber eigentlich erst bei einem ersten echten Kontakt. In der Regel mache ich zwar genau das was ich im Chat tue, allerdings ist der Zugang ein ganz anderer wenn ich direkt vor meinem Gegenüber sitze.
Und wie kannst du dir selber die Angst nehmen an den/die “Falschen” zu geraten, jemand der deine Situation und verhältnismässige wehrlosigkeit ausnutzen könnte?
Ich habe ein paar Regeln für mich aufgestellt und so seltsam es klingen mag, meine Krankheit bewirkt Umstände die mich schützen. Eine meine Regeln besagt “kein Sex beim ersten Treffen und beim zweiten mal sehen”. Das heißt, wenn ein erstes Treffen stattfindet, geht es in ein Café oder ein Restaurant um zu reden und zu schauen, manchmal brauche ich auch zwei derartige Treffen um mir sicher zu sein. Dann kommt der Faktor des Stundenhotels. Eine erste Session findet in der Regel in meinem bevorzugten Stundenhotel statt, in diesem Hotel sind immer viele Menschen unterwegs, Ärger würde auffallen. Mein größter Schutz ist aber meine Form des Coverings. Aufgrund meiner Situation habe ich immer Assistent*innen in meiner Nähe, sie begleiten mich praktisch auch zu einem Kennenlernen oder bringen mich zu einer Session. Bei einer Session sind sie natürlich nicht mit dabei aber sie sind in der Nähe, bei einem Kennenlernen sitzen sie an einem anderen Tisch. Wichtig ist nur, jemand der etwas schlechtes plant wird dadurch abgeschreckt.
Da hast du wirklich durch deine Behinderung eine Luxussituation mit dem Covering. Die würde vielen jungen devoten Anfängern auch gut tun. :)))
Es ist definitiv eine Luxussituation, zumindest innerhalb dieser Thematik. Ich kann jedem BDSM interessierten Menschen nur zum Covering raten, schützt euch bitte so gut es geht auch unabhängig von eurer Rolle. Wenn ihr keine Vertrauensperson habt, nutzt bitte die Angebote die es im Web gibt.
Wie recht du hast. Man soll doch den Kopf einschalten bevor man seiner Geilheit hinterherrennt. Wobei die Geilheit bleibt ein wichtiger Teil des Ganzen. Hast du eigentlich noch Fantasien und Träume die du in deinem Kink-Leben noch verwirklichen willst?
Jeder Mensch oder sagen wir fast jeder Mensch ist irgendwann mal Geil aber, wie du schon sagst, man sollte in dieser Geilheit nicht vollständig erliegen. Was meine Fantasien betrifft, habe ich natürlich durchaus auch mal Kopfkino. Ich glaube dass das etwas ganz natürliches ist, es ist auch etwas was sich jeder Mensch unbedingt erhalten sollte. Was meine Wünsche betrifft sind das vergleichsweise harmlose Dinge, ich wollte zum Beispiel immer mal einen Swingerclub und ein SM-Studio besuchen. In München ist das aber kaum umsetzbar wenn man für Mobilität auf einen großen Rollstuhl angewiesen ist, über die Thematik rund um Swingerclubs habe ich bereits geschrieben und ein ähnlicher Beitrag rund um BDSM-Studios liegt bereits fertig in meinem Archiv. Natürlich habe ich auch rein sexuelle Wünsche aber mit der Erfüllung habe ich es nicht so eilig. Dafür müsste ich ja erstmal Menschen finden die in besagte Suchkriterien passen und das läuft momentan etwas schleppend. Ich bleibe aber weiterhin optimistisch. 😉
Ja die Barrierefreiheit …. das stell ich mir auch als Problem vor. Aber du hast es ja schon erwähnt, du schreibst einen Blog der sich SEXABLED nennt. Wie kam es eigentlich dazu? Ich kenn ihn, kannst du aber unseren Lesern sagen worum es darin geht?
Selbstverständlich, es freut mich übrigens sehr mit dir darüber zu sprechen und Sexabled hier vorstellen zu können. Bei Sexabled geht es um das Thema “Behinderung und Sexualität”, ich behandle dort eigentlich alles was zu diesem Thema passt oder themenverwandt ist, mal ist es persönlicher, mal informativer und seit ein paar Monaten suche ich auch Gast-Autor*innen. Das Ziel des Blogs ist es, einige Vorurteile rund um das Thema “Behinderung und Sexualität” abzubauen, Body Positivity zu verbreiten und betroffenen Menschen etwas Mut zu machen in dem ich zeige “Hey, eure Bedürfnisse sind ganz normal”. Der Blog entstand ursprünglich aus Mails welche ich auf Dating-Plattformen erhielt. Viele Menschen schrieben mir “Du bist so bunt und deine Geschichte ist so spannend, bitte schreibe ein Buch”. Mein Nachbar ist Autor und ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, die er für sein Buch benötigte, dafür wäre ich wohl einfach nicht der Typ. Diese Aussagen häuften sich allerdings, ich fing also an mir zu überlegen was ich tun könnte. Das Ende dieser Überlegungen ist jetzt seit einem Jahr online.
Und wie ist die Resonanz auf deinen Blog? Was für Feedback hast du so erhalten?
Ich habe jetzt keine Statistik aber gefühlt würde ich sagen mein Feedback ist zu 98% positiv und stärkend. Nur sehr selten kommen negative Kommentare. Am krassesten war bisher die Bezeichnung “abartige Behindertenscheiße”, dass tat mir damals auch etwas weh aber mittlerweile stehe ich über diesen Dingen. Meine Leser*innen bestärken mich auch sehr, dafür bin ich immer wieder dankbar.
Idioten gibts leider überall und es ist toll dass du dich von denen nicht demotivieren lässt. Ich find es grossartig was du machst und ich wünsche deinem Blog viel Erfolg und dir persönlich noch viele fesselnde Erlebnisse, die dein Leben bereichern.